Mit niemandem sonst als mit unseren Geschwistern wachsen wir so nah miteinander auf. Sie sind diejenigen, mit denen wir im Elternhaus von der Geburt bis zum Auszug am engsten zusammenleben, Sozialverhalten und Selbstbehauptung lernen und üben. Wir teilen mit ihnen Geheimnisse und können uns gemeinsam gegen die Eltern oder andere im Außen verbünden.
Viele Frauen beschreiben, dass sie auch viele schöne, unbeschwerte Kindheitserinnerungen mit ihren Geschwistern haben. Umso schmerzvoller werden Erfahrungen von Krisen, Entfremdung oder Kontaktabbruch im Erwachsenenalter erlebt. Erwachsene Brüder und Schwestern wünschen sich oft ein besseres Verhältnis zueinander.
Warum sind Geschwisterbeziehungen oft so belastet?
Und was unterscheidet Geschwisterbeziehungen von anderen Beziehungen?
Freundinnen und Freunde suchen wir uns aus, lernen sie erst einmal kennen und es entwickelt sich eine Freundschaft. Geschwister sind einfach da und wir müssen irgendwie mit ihnen zurechtkommen - wir leben sozusagen wie in einer Schicksalsgemeinschaft. Geschwister kennen wir außerdem von früh auf. Sie sind das erste Team, das wir haben, wir lernen mit ihnen soziale Kompetenzen und entwickeln durch das Ringen umeinander und um die Anerkennung der Eltern unseren Charakter.
Außerdem gibt es eine große Erwartungshaltung von Seiten der Gesellschaft und auch der Familie, dass Geschwister sich verbunden fühlen müssen. Die familiäre Verbundenheit ist häufig überlagert von dem Gedanken: ‘Wir müssen gut miteinander können.’ Dazu kommt der große Zwiespalt: Einerseits haben wir die gleichen Eltern und Familiengeschichte. Andererseits erlebt jedes Geschwister sie auf unterschiedliche Art.
Viele erwachsene Geschwister hadern mit der Beziehung zueinander unter anderem wegen dieses moralischen Drucks. Besonders unter Schwestern besteht zusätzlich ein gesellschaftlicher Harmonie-Zwang. Mädchen werden immer noch häufig dahingehend erzogen, lieb und nett zu sein. Jungen dürfen miteinander raufen. Bei Mädchen wird das als Zickenkrieg abgetan. Deshalb stehen Schwestern oft unter besonderem Druck, sich gut verstehen zu müssen. Wo eine so große Erwartungshaltung besteht, kommt es natürlich schnell zu Enttäuschungen. Zum Beispiel was Kontaktwünsche angeht. Wenn eine Schwester beispielsweise im Erwachsenenalter aufgrund von anderen Arbeits- oder Familienverhältnissen weniger Zeit hat, entzünden sich daran oft Konflikte.
Auch in der Kindheit zugeschriebene Rollen lösen Konflikte bei Geschwistern aus.
Der „Klassiker“ bei übergestülpten Rollen ist z.B., dass die Ältesten oft auf ihre kleinen Geschwister aufpassen sollen und so auch zur Bestimmerin wird. In einer Familie werden aber auch immer soziale Nischen gesucht, anhand derer sich die Rollen entwickeln. Jedes Geschwisterkind möchte seinen Platz finden und gesehen werden. Wer es im Erwachsenenalter nicht geschafft hat, einengende Kindheitsrollen aufzudecken und aufzulösen, steht oft in Konflikt damit. Zum Beispiel wenn erwachsene Geschwister sich individuell weiterentwickelt haben und an Feiertagen mit der Familie wieder in alte Rollen verfallen oder gedrückt werden.
Wie schaffen wir es, diese Rollenzuschreibungen aufzulösen?
Indem wir uns fragen: Warum übernehme ich immer wieder die Verantwortung oder möchte unbedingt Harmonie herstellen? Was bringt mich immer wieder auf die Palme in der Beziehung zu meiner Schwester? Sich das klar zu machen, ist ein erster Schritt, um zu entscheiden: Ich gebe die Verantwortung ab. Oder: Ich kümmere mich selbst einmal darum und überlasse es nicht meiner Schwester. Für dominante Geschwister kann es belastend sein zu denken: ‘Wenn ich es nicht mache, macht es niemand.’ Das überträgt sich auch auf andere Beziehungen, zum Beispiel innerhalb der Partnerschaft oder in Arbeitsteams.
Wie kann ein besseres Verhältnis zu den Geschwistern gelingen - was ist der erste Schritt?
Wichtig ist: Veränderung fängt immer bei mir selbst an. Jede kann allein – ohne das Zutun der Schwester oder des Bruders - etwas bewirken. Oft kommen Frauen zu uns, die sagen: Unsere familiäre Beziehung ist schwierig, weil meine Schwester dies oder das tut. Aber an der Schwester können wir nichts verändern. Deshalb kann und muss ich zuerst am eigenen Umgang damit arbeiten. Und vielleicht auch schauen: Wie verhalte ich mich in Beziehungen zu anderen? Und eine Freundin zum Beispiel darum zu bitten, Bescheid zu sagen, wenn ich mal wieder die volle Verantwortung übernehme, statt mich auch mal zurückzulehnen. Oder indem ich mich im Streit mit dem Partner selbst genauer beobachte.
Auch Geschwisterbeziehungen, die in der Kindheit schwierig waren, können im Erwachsenenleben gekittet werden, z.B., wenn die Geschwister es schaffen, darüber zu sprechen, wie sie ihre Kindheit erlebt haben. Und wenn sie es hinbekommen, dabei verschiedene Perspektiven gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen, können sich die Geschwister wieder annähern. Denn wenn sie über verschiedene Wahrnehmungs-Realitäten streiten, kann niemand gewinnen.
Es gibt eine sehr hilfreiche Gesprächsmethode für Menschen, die sich aussprechen wollen, das „Zwiegespräch“. Das Wichtigste dabei: Der anderen zehn Minuten zuzuhören, ohne zu unterbrechen oder zu kommentieren - nicht einmal durch Nicken oder Kopfschütteln. Dabei sollten wir mit der inneren Haltung: ‘Ach, so hast du das erlebt!’ der anderen lauschen, ihr Erleben neugierig erforschen. Solchen Gesprächen sollte man mit viel Zeit geben, und zum Beispiel mit einer konkreten Frage beginnen, wie ‘Wie hast du eigentlich die Weihnachtsfeste erlebt?’. Nach zehn Minuten werden die Rollen getauscht, die andere erzählt von ihrer Perspektive und hat dabei eine aufmerksame, interessierte Zuhörerin. Zu diesem Zwiegespräch können sich die Geschwister bei Bedarf auch eine neutrale Person als Mediator/in dazuholen.
Und was können wir tun, wenn die Schwester oder der Bruder den Kontakt abgebrochen haben?
In unsere Workshops und Coachings kommen häufiger Frauen, deren Schwestern den Kontakt abgebrochen haben als solche, die den Schritt selbst gegangen sind. Die Frauen haben oft schon jahrelang auf unterschiedliche Art versucht, die Beziehung wieder zu kitten: Briefe, Anrufe, Geschenke. Ihnen raten wir: Wenn du immer wieder gegen die Wand fährst und dabei erneut verletzt wirst, macht es irgendwann keinen Sinn mehr. Dann kann es an der Zeit sein, die Situation zu akzeptieren. Da fängt dann die Trauerarbeit an. Aber auch die Chance, in Frieden mit sich selbst zu kommen.
Frauen, die selbst einen Kontaktabbruch in Erwägung ziehen, leiden häufig unter einem sehr schlechten Gewissen. Wegen des Erwartungsdrucks, der auf Geschwisterbeziehungen liegt. Wenn eine Beziehung toxisch ist – die Frau sich also eingeengt fühlt, sich nicht entfalten kann, immer wieder verletzt wird und sie sich immer wieder verbiegen muss. Dann schauen wir in die Richtung: Was fühlt sich für dich gesund an? Und wenn die Antwort lautet: ‘Ich fühle mich am Gesündesten, wenn ich keinen Kontakt zu meiner Schwester habe’, kann ein Kontaktabbruch sinnvoll sein. Das bedeutet ja nicht, dass es bis zum Lebensende dabei bleiben muss.
Wie kann die Beziehung zu den Geschwistern wieder aufgenommen werden?
Ein erster Schritt kann sein, zunächst allein an unserem Workshop oder Einzel-Coaching teilzunehmen. Eine ehemalige Teilnehmerin beispielsweise war vor einigen Jahren alleine bei uns im Workshop, weil ihre Schwester den Kontakt abgebrochen hat. Sie ist über Jahre am Ball geblieben, hat bei uns aber gelernt, sich von Ablehnung nicht so verletzen zu lassen. Sie hatte einige Dinge getan, die nach hinten losgegangen sind. Letztendlich waren dann Briefe erfolgreich.
Wie läuft ein Workshop bei uns ab?
Wir arbeiten sehr erfahrungsorientiert, mit symbolhaften Gegenständen, Bewegung, Zwiegesprächen, Aufstellungen usw.. Zum Beispiel wollte einmal eine Teilnehmerin in einem Workshop das Gefühl visualisieren, dass sie in Zusammenhang mit der Beziehung zu ihrer Schwester hat. Sie hat sich auf einen Stuhl gestellt und dazu gesagt: „Meine Schwester stellt mich immer auf ein Podest.“ Als sie da oben stand und auf die Workshop-Teilnehmerin hinabgeschaut hat, die ihre Schwester vertreten hat, ist es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen: Dass sie bis zu dem Tag eine Mutterrolle gegenüber ihrer Schwester eingenommen hat, die ihr gar nicht zusteht. Durch diesen Perspektivwechsel ist ihr das klar geworden. In unserem Buch haben wir noch mehr Beispiele.
Wir haben mehrere Formate für Schwestern-Wochenend-Workshops. Das Format, das häufiger stattfindet, ist der Workshop, zu dem die Frauen ohne ihre Brüder oder Schwester kommen, weil die Beziehung zu ihnen so schwierig ist, dass sie nicht zusammen teilnehmen können oder wollen. Mit ihnen arbeiten wir in Kleingruppen von höchstens neun Teilnehmerinnen. Bei einem zweiten Format kommen die Schwestern gemeinsam zu zweit oder zu dritt und arbeiten an den Punkten und Fragen, die in ihrer Beziehung immer mal wieder auftauchen.
Unsere Workshops im 2. Halbjahr:
„Geschwister – Herausforderung oder Chance!?“
für Frauen, die ohne ihre Schwestern und Brüder teilnehmen
02. - 04.09.22 in Gröbenzell bei München
02. - 04.12.22 in Köln-Dellbrück
Info & Anmeldung: HIER KLICKEN
„Ein Herz und eine Seele!?“
für Frauen, die mit ihren Schwestern gemeinsam teilnehmen
04. - 06.11.22 in Hamburg
Info & Anmeldung: HIER KLICKEN